Ein persönlicher Kommentar von Friedhelm Fragemann*
Die unsägliche Untat der verbrecherischen Hamas vom 07.10.2023 rechtfertigt nicht das völkerrechtswidrige Agieren der von Netanjahu geführten äußerst rechtslastigen Koalition. Die israelische Regierung hat mit ihren Maßnahmen (faktische Zwangsumsiedlung in großem Stil, Inkaufnahme hoher Zahlen an zivilen Opfern durch Blockade humanitärer Hilfsgüter und militärische Aktionen) deutlich Grenzen überschritten. Die Trennlinie zu ethnischen Säuberungen und Vertreibung ist nicht mehr erkennbar.
Zudem ist die Realisierung einer vollständigen Ausschaltung der Hamas mehr als zweifelhaft. Selbst wenn sie gelänge, würde diese wohl kaum den gegen Israel gerichteten Terrorismus ausmerzen, sondern nur dafür sorgen, dass sich eben andernorts oder in anderer Form wieder neue terroristische Strukturen bilden.
Nichts wird sich zum Positiven hin wenden, solange Netanjahu am Gängelband der Ultraorthodoxen hängt, die ein Groß-Israel einfordern und die illegalen Siedlungen im Westjordanland vorantreiben, wobei sie selbst sich keiner Gefahr aussetzen wollen. Sie verteidigen vehement das ihnen bis 2024 zugestandene und erst im letzten Jahr aufgehobene Privileg der Befreiung vom Wehrdienst. Sie wollen weiter andere bluten lassen. Stattdessen genießen sie auch anderweitige staatliche Wohltaten, ohne selbst Beiträge zur Sicherung einer funktionierenden Zivilgesellschaft zu leisten.
Auch die Zielsetzung der Geiselbefreiung verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit und dient eher der Beschwichtigung von Kritikern. Offensichtlich ist hingegen, dass Netanjahu sein politisches Überleben sichern will, um sich einer gerichtlichen Verfolgung (u.a. auch wegen Korruption) zu entziehen. Wie desaströs seine persönliche Lage ist, zeigt auch sein Vorschlag, dem amerikanischen Präsidenten den Friedensnobelpreis zuzuerkennen – eine Unterwerfungsgeste gegenüber seinem Schutzherrn Trump.
Auf der anderen Seite ist es unerträglich, wenn gegen den, die Mordanschläge der Hamas auf den Straßen deutscher Metropolen feiernden Mob, nicht konsequent vorgegangen wird. Die Bundesregierung wäre jedenfalls gut beraten, nicht aus falscher Rücksichtnahme völkerrechtswidrige Aktionen der israelischen Regierung faktisch weiter hinzunehmen. Die Versicherung, das Existenzrecht Israels sei Teil der deutschen Staatsräson, wird von Netanjahu und seinen ultraorthodoxen und rechtsextremen Komplizen anscheinend eher als Blanko-Scheck wahrgenommen.
* Friedhelm Fragemann ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Dorsten und legt Wert darauf, seine Positionierung als persönliche Meinung zu kennzeichnen.