NATO und Europa am Scheideweg – Ein Kommentar von Friedhelm Fragemann*

Jetzt rächt sich das jahrzehntelange parasitäre Verhalten der europäischen Staaten in der zentralen Frage militärischer Sicherheit. Unter dem nuklearen Schutzschirm der USA und mit Blick auf die gewaltige konventionelle amerikanischen Militärmaschine hatte man es sich auf dem alten Kontinent bequem gemacht. Die Hoffnung, es könne so weitergehen, hat sich endgültig zerschlagen. Mit der zu Beginn des Ukraine-Krieges von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen Zeitenwende ist nur scheinbar eine Neuausrichtung zur Stabilisierung der westlichen Allianz gelungen, zumal diese materiell nur unzureichend unterfüttert war.
Auch in den Grundfragen von Recht und Freiheit, einschließlich völkerrechtlicher Grundsätze und Verpflichtungen, ist ein gefährlicher Dissens zu den USA aufgetreten. Anstelle internationaler Kooperation auf der Basis einer regelbasierten Weltordnung erhebt die hässliche Fratze eines unverhüllten Neoimperialismus ihr Haupt. „Kooperationspartner“ sind jetzt Autokraten – im Weißen Haus ein skrupelloser Narziss und notorischer Lügner, der das Putinsche Narrativ von der notwendigen Verteidigung Russlands übernommen hat, im Kreml ein Kriegsverbrecher, dem Menschenleben nichts gelten. Trump wird sekundiert von macht- und geldbesessenen Oligarchen, die Meinungsfreiheit predigen und Manipulationsfreiheit meinen, Putin von der russisch-orthodoxen Kirche als williger Helferin staatlicher Indoktrination.
Es ist höchste Zeit für die EU und die europäischen NATO-Partner, politisch und militärisch Konsequenzen zu ziehen. Ein einiges Europa hätte die Stärke und die Chance, in diesem Machtspiel – auch als Hort der Demokratie – zu bestehen und zugunsten vernünftiger multipolarer Verhältnisse Einfluss zu nehmen.

*Friedhelm Fragemann ist stellvertretender Vorsitzender der SPD im Dorstener Stadtrat